Im Rahmen einer laufenden Reihe „Brot und Spiele – Sportgroßevents als Katalysator für Aufwertungsvisionen“ fand im Centro Social jüngst die Diskussionsveranstaltung „Sportgroßevents, Sicherheitspolitik und Widerstand“. Sybille Bauriedl hat dazu einen Beitrag geschrieben, den wir hier dokumentieren:
Internationale Sportveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaften oder Olympische Spiele haben vielfältige Funktionen und Folgen für die Austragungsorte. Sie dienen neben der Umsetzung von Infrastrukturprojekten wie dem Wohnungsbau oder öffentlichem Nahverkehr, immer auch der Einführung und Erprobung von Überwachungstechnologien. Nach den Olympischen Spielen 1972 in München mit der Entführung und Ermordung der israelischen Sportler_innen wurde dieses internationale Sportevent zum Sicherheitsrisiko erklärt und massive Kontrollen im öffentlichen Raum eingeführt.
Bei den Sommerspielen 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles kamen im großen Umfang staatliche und private Sicherheitsdienste zum Schutz vor terroristischen Anschlägen zum Einsatz. Nach dem Attentat auf das World Trade Center 2001 wurden die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal extrem verschärft. Die Sicherheitskosten der Spiele von Athen 2004 betrugen daraufhin mindestens 1,5 Mio. Dollar. Als am Tag der Vergabe der Olympischen Sommerspiele nach London ein Bombenanschlag in der U-Bahn stattfand, wurde sofort der Sicherheitsetat verdoppelt. Welche Folgen hat dieser Bedrohungsdiskurs und der Einsatz von Sicherheitstechnologien für das Leben in den Austragungsstädten von Großsportevents?
Drei Kurzvorträge lieferten Einblick in lokale Sicherheitspraktiken und führten zu einer Diskussion über den globalisierten Terrorismusdiskurs, die Kriminalisierung Armer und Obdachloser und die lokalen Interessen an einer Stadt im Ausnahmezustand. Stefanie Baasch stellte die Sicherheitspolitik der Fussball-WM 2006 in Deutschland vor, Stephan Lanz die Maßnahmen im Rahmen der Fussball-WM 2014 und der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro und Oliver Pohlisch berichtete von den Olympischen Sommerspielen 2012 in London.
Großsportevents als Versuchslabor lokaler Sicherheitsvisionen
Anders als vermutet gibt es keine IOC-Sondersicherheitsvorgaben. Die konkreten Sicherheitsmaßnahmen variieren in den einzelnen Städten deutlich und leiten sich aus nationalen Gesetzen ab, die schon vor WM und Olympia in Kraft waren. In allen Städten kommt es jedoch zur Verschärfung dieser Maßnahmen. Das betrifft die Ausweitung von Gefahrengebieten, die schnelle Auflösung von Versammlungen oder die Anwendung von Beugehaft gegen potentielle Demonstrant_innen. Und in der Regel werden lokale Einsatzzentralen während des Events geschaffen, die ein schnelles Eingreifen ermöglichen und damit auch die Anzahl der registrierten Vorfälle erhöht. So wurden z.B. in Hamburg während der WM Feuerwehr, Sanitätsdienst und Polizei in großen Verbänden direkt an der Public Viewing Fläche auf einem eingezäunten Areal zusammengezogen.
Mittlerweile existieren in den Austragungsstädten Sicherheits- und Kontrollmechanismen, die weitreichende Überwachung und Eingriffe in die Bewegungsfreiheit ermöglichen, schon bevor sie den Zuschlag für Olympische Spiele und Weltmeisterschaften bekommen. Nationale und internationale Terrorbekämpfungsstrategien werden dann während der Sportveranstaltung ergänzt. Für die Fussball-WM in Deutschland standen NATO-Kampfjets zur Sicherung des Luftraums bereit. Im Fall von London waren Helikopter der Royal Air Force im Einsatz und es wurden in Sichtweite der Sportstätten in den Docklands Kriegsschiffe postiert. Erst als Luftabwehrraketen auf Privathäusern der Londoner Innenstadt installiert werden sollten, formierte sich Widerstand mit dem Slogan „Don’t play games with our lives“. Der juristische Protest wurde jedoch abgewehrt und der Ausnahmezustand als gültiges Recht erklärt, was nun auch die Militarisierung Londons in Friedenszeiten ermöglicht.
Auch wenn FIFA und IOC keine konkreten Sicherheitsmaßnahmen vorgeben, sorgen sie jedoch mit ihren Sponsorenprivilegien für eine Kriminalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen. In den Sonderzonen, die während der Veranstaltungen im Umkreis von 2km um jede Sportstätte gezogen werden müssen und damit einen Großteil der Stadt umfassen, macht sich jeder Souvenir- und Getränkehändler strafbar, der nicht die IOC-lizensierten Produkte verkauft.
Veranstaltungsareale werden zu Gefahreninseln gemacht
Während der Sportveranstaltungen wird der Ausnahmezustand noch einmal verschärft, mit der Begründung, dass die Sportler_innen und Besucher_innen in dieser Phase besonders gefährdet sind durch terroristische Angriffe. Der Olympiapark in London wurde besser gesichert als der Buckingham Palast der Queen. Das Gelände umzog ein 11km langer, vier Meter hoher Zaun mit Hochspannung, dazu Flutlicht, Überwachungskameras und check points. In Hamburg wurde die Bewegungsfreiheit durch die Ausweisung von Gefahrengebieten eingeschränkt, die verdachtsunabhängige Personenkontrollen ermöglichten. Auch dies ein Kontrollinstrument, das der damalige Innensenator Schill schon vor der WM eingeführt hatte und nun verschärft zu Anwendung bringen konnte.
Die Kriminalisierung der Stadtbevölkerung zeigt sich auch in der Vertreibungs- und Null-Toleranz-Politik im Vorfeld der Veranstaltungen, die dazu dient für die Besucher_innen und die internationalen Medien das Bild einer sicheren und sauberen Stadt ohne soziale Widersprüche herzustellen. Ein sauberer öffentlicher Raum wird zum visuellen Beweis von Sicherheit und Ordnung stilisiert. Diese Politik zeigt sich in der Vertreibung von Armen und Obdachlosen und in besonders deutlicher Form in Rio durch den Einsatz der sogenannten Befriedungspolizei (UPP) in 40 von über 700 Favelas, die zu Orten der Angst erklärt wurden. Tatsächlich ging die Zahl der Todesopfer rivalisierender Drogenbanden zurück, eine langfristige Sicherheit der Bewohner_innen der Favelas ist aber nicht in Sicht. Gleichzeitig wurden im Vorfeld der Fussball-WM in Rio 16.700 Einwohner_innen aus innerstädtischen Favelas in Ersatzwohungen am Stadtrand umgesiedelt oder gewaltsam vertrieben um Platz für Sportstätten, Parkplätze und die gewünschte Nachnutzung nach der WM und den Olympischen Spielen zu ermöglichen. Allein 2000 Häuser mussten den Parkplätzen des Maracanã Stadions weichen. Mit dem Porto Maravilha Projekt wird auf einem Favela-Gelände eine Waterfront mit Shopping Malls, Handelszonen und hochpreisigen Wohnungen geschaffen. Ohne massiven Polizeieinsatz wären diese Maßnahmen nicht durchführbar gewesen.
Was sind die Motive und wer sind die Profiteure dieser Sicherheitspolitik?
In London waren 49.000 Soldaten im Einsatz, die Sicherheitskosten beliefen sich auf fast 1 Mrd. Euro. Für die Sicherheit eines Fußballstadions und einer Public Viewing Zone wurden in Hamburg immerhin 6 Mio. investiert. Warum lohnt sich das?
Großsportevents dienen als Katalysator für Sicherheitsvisionen der unternehmerischen Stadt. Für die Vertreter_innen dieser Stadtpolitik ist die internationale Städtekonkurrenz die zentrale Triebfeder: „Unsere Stadt ist die sicherste im internationen Vergleich“. Großsportevents und ihre begleitende Sicherheitsshow dienen in dieser unternehmerischen Logik als Wachstumsmotor für die lokale Wirtschaftselite. Die Stadtregierung ist die Erfüllungsgehilfin dieser Strategie durch die Präsentation einer sicheren Stadt für die Gäste aus aller Welt. Mit dem Argument einer diffusen Terrorismusgefahr schafft sie die Akzeptanz eingeschränkter Bewegungsrechte und die Vertreibung von Armen und Rechtloser sowie die Erprobung verschärfter Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen.
Infos zu weiteren Veranstaltungen der Reihe: http://thebrotundspiele.tumblr.com
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