Die Bürgerschaft hat mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und Grünen einen „Olympia-Faktencheck“ beim Hamburger Senat in Auftrag gegeben. Darin sollen – so zumindest das Verständnis der Hamburger Grünen – Vor- und Nachteile einer Olympia-Bewerbung von Hamburg „ergebnissoffen“ dargestellt werden. (Der Antrag ist hier online als PDF) Allerdings betont Jens Kerstan, Fraktionsvorsitzender der Grünen: „Wir wollen nicht, dass Hamburg eine dreiwöchige Party für die Welt ausrichtet und danach auf einem Schuldenberg sitzt.“ Diese Schuldenberge sind es, die die Links-Fraktion dazu veranlasst hat, den interfraktionellen Antrag nicht zu unterstützten und eine Bewerbung zu Olympischen Spielen abzulehnen.
Kerstan hat die bisherige Haltung der Grünen in der Bürgerschaft und in einer Pressemeldung dargelegt und begründet, warum sich die Fraktion an dem Faktencheck beteiligt: „Wir dürfen uns zeitlich nicht unter Druck setzen lassen und überhastet entscheiden. Deshalb ist es wichtig, jetzt ehrlich die Chancen und Risiken der Olympischen Spiele ergebnisoffen zu bewerten. Ohne eine belastbare Schätzung zu Kosten und Risiken lässt sich nicht über eine Bewerbung entscheiden.“ Die Rede von Kerstan dokumentieren wir gleich unter diesem Text als Video.
„Viele schwerwiegende Gründe gegen Olympia in Hamburg“ listet die Links-Fraktion in ihrer Ablehnung einer solchen Bewerbung auf. Unter anderem findet sich unter dem angegebenen Link auch eine Olympia-Studie, in der die Kosten zurückliegender Olympiaden dargelegt werden und über die tatsächlichen Gewinner der Spiele berichtet wird. In der PM zur Veröffentlichung der Studie erklärte Mehmet Yildiz, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft; „Die Folgen einer Ausrichtung wären enorme Kosten, weitere soziale Spaltung und Umweltschäden. Das würde Hamburg auf Jahrzehnte belasten“. Seine Rede in der Bürgerschaft gibt es ebenfalls gleich unten als Dokumentation in voller Länge – allerdings zum lesen.
Rede von Jens Kerstan, Fraktion die Grünen zur Olympia-Bewerbung und zum Faktencheck in der Bürgerschaft (Youtube):
Die Rede von Mehmet Yildiz, Fraktion DIE LINKE:
Mehmet Yildiz DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben in den Reden viel Pro gehört, wenig Kontra. Frau Kaesbach, ich will Ihnen aufzeigen, welche Nachteile Olympia hat.
(Finn-Ole Ritter FDP: Auch Vorteile!)
Dazu komme ich auch, Herr Ritter. Wenn Sie zuhören, dann werden Sie sehen, was ich dazu sage.
Eine Diskussion um eine Hamburger Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele kann nur vor dem Hintergrund der Haushaltssituation geführt werden.
(Dr. Roland Heintze CDU: Das ist ja mal was Neues bei Ihnen!) Die ökonomischen Risiken für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und den Hamburger Haushalt sind enorm. Komischerweise blendet die FDP das völlig aus, (Beifall bei den GRÜNEN) obwohl sie meist die Ersten sind, die herumjaulen, wenn es darum geht, soziale Projekte zu finanzieren.
Ich will Ihnen einige Fakten nennen. Eine Bewerbung für die Großveranstaltung Olympia geht in die Milliarden; alleine die Bewerbungskosten für Olympia 2012 in London wurden mit 1,9 Milliarden Euro veranschlagt. Jüngere Beispiele dafür, dass sich Olympische Spiele für die Gastgeber finanziell nicht lohnen, sind Athen und London. Athen ist seit der Austragung 2004 mit einem Schuldenberg von 7 Milliarden Euro faktisch pleite, geplant waren dagegen nur 1,2 Milliarden Euro. Auch London hat einen hohen Preis für die Austragung der Olympischen Spiele gezahlt.
(Glocke)
Vizepräsidentin Antje Möller (unterbrechend):
Herr Yildiz gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Blömeke?
Mehmet Yildiz DIE LINKE: Ja.
Zwischenfrage von Christiane Blömeke GRÜNE: Herr Yildiz, ist Ihnen bekannt, dass die Spiele in London zwar 2 Milliarden Euro gekostet haben, aber unter dem Strich 400 Millionen Euro Gewinn gemacht hat?
(Zurufe von der LINKEN: Für wen?)
Kennen Sie die Auswertung, kennen Sie diese Zahl?
Mehmet Yildiz DIE LINKE (fortfahrend): Frau Blömeke, Sie haben vollkommen recht, dass es auch Einnahmen gegeben hat, von denen die Stadt London aber fast nichts hat, sondern das IOC profitiert davon, und das ist unsere zentrale Kritik.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Roland Heintze
CDU: Die bösen Kapitalisten!)
Auch London hat einen hohen Preis für die Austragung der Olympischen Spiele 2012 zahlen müssen.
So kosteten alleine infrastrukturelle Maßnahmen bis zu 15 Milliarden Euro. Diese Kosten werden fast ausschließlich vom Steuerzahler und der öffentlichen Hand finanziert. Aus diesen Gründen haben Rom und Toronto auf die Austragung der Olympischen Spiele 2020 verzichtet.
(Glocke)
Vizepräsidentin Antje Möller (unterbrechend):
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Yildiz.
Mehmet Yildiz DIE LINKE (fortfahrend): Danke schön.
(Christiane Schneider DIE LINKE: Das müssen Sie mal in die Richtung sagen!) Auch ist ein belebender Effekt auf die Wirtschaft, wie FDP und Handelskammer es behaupten, keineswegs nachgewiesen.
(Finn-Ole Ritter FDP: Doch!)
Als dieses Thema auf uns zugekommen ist, habe ich mehrere Studien gelesen. Die Studien belegen für London genau das Gegenteil. Sie haben es vorhin erwähnt, Frau Blömeke: Der Effekt wird mit nicht einmal 0,1 Prozent des Bruttoinlandproduktes beziffert, ein Wachstumsschub für die jeweilige Region ist nicht zu erkennen.
(Finn-Ole Ritter FDP: Wie viele Euro sind das?)
Das können Sie selber ausrechnen.
Am Beispiel London sehen wir, dass vor allem das IOC verdient. Mit dem Verkauf von Sponsorenrechten werden Milliarden Umsatz gemacht.
Die Diskussion um eine gemeinsame Bewerbung von Hamburg und Berlin ist sinnlos, weil das IOC keine Flächenbewerbung akzeptiert. Für eine Hamburger Bewerbung müsste man neue Sportstätten einrichten, um den Ansprüchen des IOC zu genügen, denn Hamburg hat unter anderem kein Olympiastadion, kein Radstadion und keine geeignete Schwimmhalle. Alleine für diese drei Projekte werden die Kosten im dreistelligen Millionenbereich geschätzt.
Meine Damen und Herren! Hamburg braucht kein neues Prestigeprojekt auf öffentliche Kosten. Andere Projekte, wie zum Beispiel die Elbphilharmonie, zeigen, dass die Kosten von Großprojekten schwer kontrollierbar sind.
(Olaf Ohlsen CDU: Wer hat die Rede denn aufgeschrieben?)
Eine Kostenexplosion wie in London bis in den zweistelligen Milliardenbereich hinein darf Hamburg nicht riskieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Die LINKE fordert Investitionen im Bereich des Breitensports, anstatt riesige Mengen von Geld für ein Spitzensportevent zu verbrennen. Hier hat Hamburg einen großen Nachholbedarf. Wir brauchen mehr Investitionen in Sportanlagen, in Vereine und in Schulen. Hier wären Gelder sinnvoll angelegt und vor allem wäre das eine langfristige Investition in die Zufriedenheit und die Gesundheit der Hamburgerinnen und Hamburger. Eine bessere Sportinfrastruktur für die Bevölkerung würde Hamburg wesentlich attraktiver machen als die Austragung von Großevents.
Der Entscheid der bayerischen Bevölkerung gegen eine Münchner Bewerbung für Olympia – und Bayern ist, wie ihr wisst, reicher als Hamburg – ist ein Zeichen dafür, wie skeptisch die Bevölkerung gegenüber solchen Prestigeprojekten ist. Vor diesem Hintergrund lehnen wir eine olympische Bewerbung ab. Das Mindeste aber ist, was wir in unserem zweiten Punkt fordern, dass der Senat, falls er eine Bewerbung erwägt, vor der Entscheidung eine Volksbefragung macht. Wir wollen keine Lobby für die Handelskammer und die Hotels sein.
Die Austragung der Olympischen Spiele hat in anderen Städten, egal, ob London oder Athen, zu Folgendem geführt, Frau Blömeke: Durch die Investitionen wurden noch mehr Menschen, die wenig Geld haben, aus den Stadtteilen verdrängt. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, die Mietpreise sind gestiegen, die Grundstückspreise sind gestiegen. Als Ergebnis hat die Bevölkerung wenig bis gar nichts davon. In der gestrigen Fernsehsendung hat Herr Ploß einen schönen Satz gesagt, der einiges deutlich macht und den ich zitieren möchte: „Aber wir lassen uns auch nicht treiben von der Handelskammer, die andere Interessen hat. Der Sport hat Interessen, hier wirklich eine Sportveranstaltung durchzuführen und kein Investitionsprogramm zu machen für die Wirtschaft.“ Zitatende.
Ich habe eine andere Auffassung zu Olympia, kann Ihnen aber in einem Punkt zustimmen: Leider lässt sich die FDP von der Handelskammer treiben, statt sich mit den grundsätzlichen Problemen im Bereich des Sports zu befassen. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
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