Olympische Spiele verändern die Stimmung im Land: „Nach den Olympischen Spielen in London erklärten 80% der Briten, dass sie stolz sind, Briten zu sein“, erklärte Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am 19.5. beim Taz-Salon im Haus 73, bei dem es um die Hamburger Olympia-Bewerbung ging.
Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Sportgroßveranstaltungen und erstarkendem Nationalismus stellte bereits vor einigen Jahren Wilhelm Heitmeyer fest, der als Leiter des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung regelmäßig zur Ausbreitung verschiedener Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ forscht. Was für viele vor dem Hintergrund einer wachsenden Anzahl rassistischer Übergriffe in Deutschland allerdings ein Horrorszenario ist, ist für Michael Vesper, langjähriger Politiker bei den Grünen in Nordrhein Westfalen, ein Argument für Olympische Spiele in Deutschland.
Auch ansonsten konnten die beiden Protagonisten olympischer Spiele auf dem Podium nicht überzeugen: Christoph Holstein, Staatsrat für Sport in der Hamburger Innenbehörde, versuchte die Defizite der Hamburger Olympia-Pläne als Stärken umzudeuten. Bezogen auf die unklaren Kosten der Spiele erklärte er: Es werde in den beteiligten Behörden derzeit viel herumgerechnet. Bis zum Ende November geplanten Referendum werde es konkretere Zahlen als jetzt geben, letzten Endes könne man aber zu dem Zeitpunkt noch nicht genau einschätzen, wie teuer der Spaß am Ende wirklich wird. Allerdings zeige genau dieses Eingeständnis die Ernsthaftigkeit, mit der der Senat an die Sache herangehe: Anstatt den Abstimmenden irgendwelche unrealistischen Schätzungen zu präsentieren wie bei der Elbphilharmonie, wolle man von vornherein transparent machen, an welchen Stellen keine genauen Schätzungen möglich seien.
Dabei gibt es, wie Michael Rothschuh von NOlympia Hamburg einwandte, einen wesentlichen Unterschied zur Elbphilharmonie: Während es bei dieser kein Datum gegeben habe, bis wann diese spätestens den Betrieb aufnehmen müsste, spielt bei olympischen Spielen Zeitdruck eine enorme Rolle. Wenn bis 2024 alle Gebäude fertig gestellt sein müssen, ist zu erwarten, dass der Druck entsteht, doch mehr Gelder locker zu machen als eingeplant, um den Zeitplan einhalten zu können. Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN, wandte ein, dass auch ungefähre Schätzungen über die Kosten der Baumaßnahmen und der Organisation der Olympischen Spiele nicht ausreichten: Es sei notwendig, vor einem Referendum umfassende Untersuchungen über Auswirkungen der Olympia-Bewerbung auf die gesamte Stadt vorliegen zu haben. So müsse z.B. klar gestellt werden, wo das Geld herkommt, das für die Durchführung der Spiele benötigt wird, und an welchen Stellen daher Gelder fehlen werden.
An zentraler Frage stand die Frage der Verbindung von olympischen Spielen und Stadtentwicklung. Michael Vesper stellte mit Verweis auf London die einmalige Chance heraus, die sich mit der Entwicklung des kleinen Grasbrooks als neuen Stadtteil böte: In London habe man gesehen, wie Stadtviertel, die vorher „abgerutscht“ waren, zu neuem Leben verholfen wurden. Es sei niemand verdrängt worden und es seien dagegen Sozialwohnungen entstanden seien. Man kann Michael Vesper an dieser Stelle nur empfehlen, sich besser zu informieren. Die sozialwissenschaftliche Forschung zeigt jedenfalls, dass olympische Spiele gravierende Folgen für Teile der Londoner Bevölkerung hatten. Paul Watt arbeitet z.B. in der Studie „It’s not for us’. Regeneration, the 2012 Olympics and the gentrification of East London“ den Zusammenhang zwischen olympischen Spielen und der Gentrifizierung East-Londons heraus – verbunden mit dem Abriss hunderter Sozialwohnungen und der direkten und indirekten Verdrängung einkommensschwacher Bewohner_innen.
Auch die Sorge, die Bevölkerung Wihelmsburgs und der Veddel könne infolge der olympischen Spiele verdrängt werden, ließ Vesper kalt: Wenn ein Viertel aufgewertet werde, lasse es sich eben nicht verhindern, dass Menschen verdrängt werden. Dann sei es die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass sie Ersatzwohnungen in anderen Stadtvierteln bekommen. Sowohl von Vesper als auch von Holstein wurde argumentiert, dass man ja nicht gegen die mit der Austragung olympischer Spiele einhergehende Stadtentwicklung sein könne, weil da ja Wohnungen entstehen, wo bisher nur alte Autos für den Transport nach Afrika abgefertigt werden. Weder ist, wie von Vesper und Holstein behauptet, der Bau von Wohnungen das Heilmittel gegen Wohnungsnot und steigende Mieten. Es kommt darauf an, für wen die Wohnungen gebaut werden und zu welchen Preisen sie zu haben sind und ob es Regelungen gibt, die verhindern, dass hohe Mieten verlangt werden können. Zum anderen baut der Senat sowieso jährlich 6.000 neue Wohnungen. Dass durch olympische Spiele noch mehr entstehen, kann bezweifelt werden – zumal noch gar nicht klar ist, ob Wohnen auf dem Kleinen Grasbrook längerfristig überhaupt möglich ist, weil anliegende Hafenbetriebe dagegen Einspruch erheben könnten.
Ein weiterer Aspekt der Runde war die Frage der Sicherheitspolitik: Wird Hamburg zu einer Festung, wie stark wird die Bewegungsfreiheit der Hamburger Bevölkerung eingeschränkt, wenn Olympia kommt? Vesper und Holstein argumentierten, es dürfe nicht sein, dass olympische Spiele nur in autoritären Staaten stattfinden können, nur weil man hier befürchte, dass Bürgerrechte eingeschränkt werden. Andreas Rüttenauer, Taz-Chefredakteur und als Sportredakteur bei den olympischen Spielen in Peking, Sotschi und London dabeigewesen, hielt dagegen, er habe in Bezug auf drastische Sicherheitsvorkehrungen keinen Unterschied zwischen den Austragungsorten feststellen können. Auch in London sei das Militär stark präsent gewesen und auf Dächern seien Raketen stationiert gewesen. Leider wurde nicht darüber gesprochen, welche dauerhaften Auswirkungen auf die Bewegungsfreiheit der Bewohner_innen die in einer Stadt, in der olympische Spiele stattfinden installierte Sichherheitsarchitektur hat, wenn z.B. eine flächendeckende Kameraüberwachung in weiten Teilen der Stadt eingerichtet ist.
Es ging auch um die Rolle des IOC und die Bedeutung olympischer Spiele für den Sport. Michael Vesper überraschte mit der Behauptung, olympische Spiele seien der einzige Garant dafür, dass es eine solche Breite an Sportarten geben könne, wie wir sie in Deutschland haben. Diese abenteuerliche Behauptung konnte er lediglich mit einer anderen Behauptung unterfüttern: Ein Land, in dem olympische Spiele zu Gast seien, könne es sich nicht erlauben die dritte Sportstunde zu streichen.
Heike Sudmann kam auf die Frage des Host-City-Vertrags zu sprechen, den das IOC mit der austragenden Stadt schließt. In München, wo die Bewerbung in einem Referendum von einer Mehrheit der Bevölkerung abgeschmettert wurde, war ein Gutachten von Prof. Dr. Gerrit Manssen (Universität Regensburg) zu dem Schluss gekommen, dass der Vertrag nach deutschem Recht als „sittenwidrig“ zu bezeichnen sei, angesichts dessen, dass u.a. alle Risiken der Stadt angelastet werden und alle Rechte beim IOC liegen.
Vesper kündigte an, zum Referendum werde es einen Entwurf des Host-City-Vertrages geben, der für alle zugänglich sein werde. Ob damit auch die mehrere tausend Seiten umfassenden „Technical Manuals“ gemeint sind, die in denen sich das Kleingedruckte von Host-City-Verträgen verbirgt, erwähnte er nicht. Wer auch nur ein bisschen kritisch ist, kann aber davon ausgehen, dass die, wie Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum erklärte „zweitkorrupteste Organisation nach der FIFA“ in einen öffentlich zugänglichen Entwurf vor einem Referendum nicht alles hineinschreibt, was später im Vertragswerk steht. Im Zweifel kann man sich damit rausreden, dass es ja nur ein Entwurf war. Das IOC erklärt selbst in seiner als Wendung hin zu mehr Transparenz erklärten Agenda 2020, es behalte sich vor, Stellen in Host-City-Verträgen „vertraulich“ zu behandeln, also geheimzuhalten, wenn diese Interessen Dritter berühren.
Insgesamt war die Stimmung in der Veranstaltung klar gegen die Hamburger Olympia-Bewerbung. Sämtliche Wortbeiträge aus dem Publikum waren olympiakritisch. Diese Tendenz wurde auch deutlich, als Moderator Sven-Michael Veit am Anfang und am Ende dazu aufforderte, seine Einstellung per Handheben kundzutun. Bedingungslos für olympische Spiele in Hamburg waren bei der Anfangsabstimmung nur Neumann und Vesper. Schon mehr Teilnehmer_innen konnten sich olympische Spiele in Hamburg vorstellen unter der Bedingung, dass auf die Stadt keine Kosten zukommen, sie nachhaltig und sozial verträglich seien etc. Einige wenige meldeten sich als abgefragt wurde, wer noch keine klare Meinung hatte und sich erst informieren wolle. Eine Mehrheit erklärte konsequent gegen Olympia 2024 in Hamburg zu sein. Am Ende der Veranstaltung hatte sich an den nichts wesentliches geändert. Sieben Publikumsteilnehmer/innen meldeten, sich als gefragt wurde, wer an dem Abend seine Meinung verändert habe. In welche Richtung wurde nicht abgefragt.
Autor: Florian Kasiske
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