Zeitgleich mit der Präsentation der Reformpläne des IOCs wagt sich IOC-Chef Thomas Bach mit einem zweifelhaften Vorstoß in die Öffentlichkeit. Im Interview mit der BILD zeigte er sich skeptisch, ob es überhaupt Sinn mache, Bürger/innen in den Prozess mit einzubeziehen: „Ist ein Bürgerbegehren tauglich, um Großprojekte zu legitimieren? Ich sehe manchmal eine gewisse Mutlosigkeit mit einer gewissen Selbstzufriedenheit in einigen Ländern, wo man Projekte nicht in Angriff nimmt, weil es allerlei Bedenken gibt“.
Ein besonders Demokratieverständnis versteckt sich hinter solch einem Vorstoß, wenn pauschal alle Zweifel und Einwände an dem Milliarden-teuren Olympia-Event als „Selbstzufriedenheit“ und Bedenkenträgerei gebrandmarkt werden. Ist aber auch zu nervig, wenn Bürger/innen mitbestimmen wollen, wohin die Milliarden fließen und diese nicht per Blankoscheck Spiele vergeben wollen.
Fakt ist: Bisher wurde in keinem Land, in dem die Bürgerinnen und Bürger über Olympische Spiele abstimmen konnten, sich für Olympia entschieden. Ob in Bayern, Norwegen oder der Schweiz: die Bevölkerung hatte gute Gründe, um dagegen zu stimmen. Anstatt diese Bedenken ernst zu nehmen und sich zu wirklichen IOC-Reformen durchzuringen, wählt Bach nun die undemokratische Abkürzung: Lasst uns die Bedenkenträger erst gar nicht dazu befragen, dann gibt’s später auch keine Probleme mit nicht eingehaltenen Wahlversprechen. Welcome Modell Sotschi.
Welch gespaltenes Verhältnis viele IOC-Mitglieder zu Partizipations- und Demokratieprozessen generell haben, zeigt das Interview, das die MOPO diese Woche mit Walther Tröger (85) geführt hat. Tröger gehört seit 31 Jahren dem IOC an und kennt die interne Verfasstheit des Altherrenclubs bestens. Im folgenden zitieren wir die Schlüsselfrage:
Die Winterspiele werden im nächsten Sommer vergeben. Mit Peking und dem kasachischen Almaty sind nur zwei Kandidaten übrig geblieben. Irgendwann in diesem Zeitraum sollen auch die Bürger in Berlin oder Hamburg befragt werden. Hat es da NOlympia nicht wieder leicht, die Sache zu torpedieren?
Walter Tröger: „Wir müssen alle demütiger werden. Wollen sie erfolgreich sein, müssen auch die Berliner und Hamburger demütig genug sein, sich keine Gedanken über andere zu machen, die sie nichts angehen. Die Mehrzahl der IOC-Mitglieder hält Peking und Almaty nicht für problematisch. Im IOC sitzen Mitglieder aus Ländern, die unter anderen Verhältnissen leben und anders mit Menschenrechtsfragen umgehen als wir. Die sagen, die Chinesen und Kasachen sind unsere Freunde, wieso sollen die nicht die Spiele bekommen?“
Diesen Gedanken führt er kurz darauf noch weiter aus, indem er auf die Frage, ob denn das IOC-Gremium in der Mehrheit undemokratisch sei, antwortet: „Man kann anderen nicht verwehren, anders zu denken. Demokratie wird weltweit unterschiedlich interpretiert. Eine Demokratiedebatte würde im IOC zu keinem Ergebnis führen.“
So viel also zum Thema Reformfähigkeit des IOCs. Das IOC blickt dabei auf eine lange Tradition zurück, es sich in Diktaturen und autoritären Staaten wohlig einrichten zu können. Wir haben es hier mit einem Gremium zu tun, das in der Vergangenheit mehrheitlich keine Probleme mit Diktaturen und Menschenrechtsverletzungen hatte und das daran auch in Zukunft nichts ändern will.
photo credit: Marco Fieber/Ostblog.org via photopin cc
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